Unter den künstlerischen Beiträgen zu Günter Westermanns Projekt einer "Revolution in der Box" findet sich eine ganze Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die bewußt auf die revolutionären Ereignisse der Jahre 1848/49 im deutschen Südwesten Bezug nehmen.
Johannes Grützke darf mittlerweile als Fachmann für die Darstellung der Ereignisse von 1848/49 gelten, hat er doch der deutschen Revolution mit seinem Bilderfries "Zug der Volksvertreter" für die Frankfurter Paulskirche bereits von offizieller Seite ein großformatiges, wenn auch sperriges Denkmal gesetzt und im Auftrag der Stadt Konstanz ein ebenfalls raumfüllendes, dem badischen Volks- und Revolutionshelden Friedrich Hecker gewidmetes Wandbild entworfen. Für Günter Westermann machte er die Badische Revolution im Format von 13 x 17 x 5 Zentimeter erneut zum "Gegenstand der Betrachtung". Die Revolution, hier symbolisiert durch ein schwarzes Papierknäuel, erinnert an ein fernes, abstrahiertes Zitat seiner Aphrodite aus dem Frankfurter Paulskirchenfries. Grützke macht sie zum Objekt seines von oben herab geführten, zutiefst abschätzigen männlichen Blickes: Eine Betrachtungsweise, die im übrigen genau dem überheblichen Blickwinkel entspricht, den spätere Generationen so oft bei der Bewertung der Revolution von 1848 an den Tag gelegt haben, und eine Betrachtungsweise, die treffend das gespaltene Verhältnis der Deutschen zu diesem Aspekt ihrer Nationalgeschichte charakterisiert.
Auch Friederike und Jens Hogh-Binder nähern sich dem Thema auf komplexe und vielschichtige Art. Auf einer aus zwei Westermann-Boxen gefertigten Hülle eines imaginären Videobandes zum 150. Jahrestag der Revolution glaubt man links oben gerade noch einen Zipfel vom Mantel der Geschichte erhaschen zu können. Doch der "Stoff für Geschichte(n)", so der Titel dieser Arbeit, offenbart sich nicht ohne eigene Anstrengung. Das Video kann, wenn überhaupt, nur vor unserem inneren Auge abgespielt werden. Der Betrachter bleibt mit seinem bruchstückhaften Wissen auf sich gestellt. Geschichte - hier wird sie als aktiver Denkprozeß eingefordert.
Der größere Teil der Beiträge knüpft thematisch jedoch direkt an die Badische Revolution der Jahre 1848/49 an und hilft damit auch unserem historischen Erinnerungsvermögen auf die Sprünge.
Roger Bitterer und Reinhard Klessinger wählen einen sehr persönlichen Bezug. Beide nehmen eine Kindheitserinnerung zum Ausgangspunkt und bei beiden ist es der charakteristische Hecker-Hut, der die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellt. Künstlerisch sind sie jedoch grundverschieden. Einerseits Bitterers verspielter, altmeisterlich inszenierter Schwarzwald-Schaukasten "Badische Landschaft und Selbstporträt mit Hecker-Hut" und andererseits Klessinger, der seine Erinnerung an eine zufällige Begegnung mit einem Foto Heinrich Hansjakobs in einem Wirtshaus schriftlich auf einen Spiegel fixiert. Dieser trug auf dem Foto seinen Hecker-Hut, mit dem der volkstümliche badische Schriftsteller in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine oppositionelle Gesinnung demonstrierte.
Marcel Mieth und Siegfried Schenkel bemühen zwar beide die Historie im Titel ihrer Arbeiten, ihre Aussage zielt jedoch weit darüber hinaus in die Gegenwart. Mieths "Auf nach Hambach" bezieht sich auf ein wichtiges Ereignis im Vorfeld der Revolution. Die berühmte Volksversammlung auf dem Hambacher Schloß bei Neustadt an der Weinstraße im Mai 1832 markierte damals den Höhepunkt der liberal-demokratischen Bewegung und der nationalen Einheitsbestrebungen in Deutschland. Unter dem Motto "Revolution, das sind wir" enthält das Angebot, eine Freikarte "nach Hambach" zu lösen, gleichzeitig die Aufforderung, sich aktiv an einem permanenten gesellschaftlichen Erneuerungsprozeß zu beteiligen, und läßt auch die "Wir sind das Volk"-Rufe der DDR-Protestbewegung vor der Wiedervereinigung mit anklingen.
Siegfried Schenkels Ansatzpunkt stimmt dagegen pessimistisch, verweist er doch in seinem zweiteiligen "Badischen Revolutionsdokument" auf die permanente Tradition des Scheiterns revolutionärer Bestrebungen in Deutschland.
Dichter am historischen Geschehen bleibt Rune Mields. Sie spielt mit dem Titel "Es lebe die Republik" deutlich auf die republikanischen Ziele der badischen Revolutionäre an. Auf einem langen, im unteren Bereich eingerissenen Papierstreifen stehen als zeichenhafte Ziffern die Jahreszahlen der revolutionären Ereignisse "1848/1849". Darin hat sie drei Bildszenen verwoben, die historisches Bildmaterial zitieren und als Stellvertreter für die drei Phasen der Revolution interpretiert werden können: die Hurrarufe während der ersten Phase der bewaffneten Volkserhebung, die durch eine Frauengestalt symbolisierte zweite bewaffnete Erhebung unter der Führung Gustav Struves, der im September 1848 in Lörrach die Republik ausgerufen hatte, und schließlich die dritte Phase, die mit der Kapitulation der Festung Rastatt am 23. Juli 1849 ein blutiges Ende fand.
Roland Umhey, Ursula Laquay-Ihm und Mariella Schulz greifen jeweils einen einzelnen Aspekt als Thema heraus. So setzt Umhey der alle sozialen Schichten einbeziehenden revolutionären Volksbewegung ein Denkmal. Mit viel Liebe zum Detail arrangierte er 150 Miniaturfiguren zu einem schwarz-rot-goldenen Fahnenobjekt, das er um ein paar anekdotische Zugaben, wie den hinter einen Stein flüchtenden Hecker, bereicherte.
Ursula Laquay-Ihm thematisiert dagegen in "Bezwingung" das Scheitern der Badischen Revolution und spannt ihre Box, die einen Landkartenausschnitt mit der Umgebung Rastatts umfaßt, symbolisch zwischen die Schraubzwingen der Siegerländer (siehe Kommentar der Künstlerin). Das "Sensenschiff" von Mariella Schulz macht dagegen auf den agrarrevolutionären Charakter vieler Erhebungen des Jahres 1848 aufmerksam. Darüber hinaus weist es auf die Auswanderungswelle hin, die danach einsetzte. So haben sich nicht nur Teile der revolutionären Prominenz, wie Carl Schurz und Friedrich Hecker, nach Amerika abgesetzt. Insgesamt sollen 80.000 Badener, d.h. jeder Achtzehnte, ihre Heimat westwärts in Fahrtrichtung des Sensenschiffs verlassen haben.
Zu den Künstlern, die einen ereignisbezogenen Ansatzpunkt gewählt haben, zählt Klaus Wendels "Aus der Traum", das an die Schlacht bei Waghäusel am 21. Juni 1849 erinnert, bei der die badischen Revolutionstruppen von den Preußen förmlich zerrieben wurden. Rolf Schneiders in den Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold gehaltenes Triptychon "Heidelberger Farbenlehre" benennt da-gegen drei zivile Ereignisse von nationaler Bedeutung. Dabei bettet Schneider das politische Geschehen in seinen kulturgeschichtlichen Zusammenhang, zudem er die Gründung des Gutenbergbundes und den Beginn der religionsphilosophischen Vorlesungen Ludwig Feuerbachs zählt.
Gleich zwei Arbeiten widmen sich dem sogenannten "Zwetschgenfeldzug" des demokratisch gesinnten Gaildorfer Fabrikanten Gottlieb Rau vom September 1848 (siehe Erläuterung von Günter Westermann). 16 Zwetschgensteine ordnete Ulrich Knubben dergestalt in seine Box, daß man den Umriß des ebenfalls 16 Bundesländer zählenden wiedervereinigten Deutschland zu erkennen glaubt. Deutschland 1848 eine Zwetschgenrepublik? Mit Anspielungen auf die christliche Ikonographie arbeitet dagegen Gerhard Opitz und überführt damit sein Objekt in eine sakrale Bedeutungsebene. Folgerichtig wird bei ihm aus dem Feldzug rückblickend eine Prozession. Sein ganz in rostroten Farbtönen gehaltenes Objekt erinnert an eine auf dem Altar aufgeschlagene Heilige Schrift, aus der einige Zwetschgen wie einbalsamierte Reliquien heraustreten.
Eine eigene Gruppe von Beiträgen ist bestimmten, an der Badischen Revolution beteiligten Personen gewidmet. Amalie Struve, die couragierte Gemahlin von Gustav Struve, schimmert bei Gerd Wiedmaier schemenhaft als madonnengleiche Erscheinung aus wächsernem Untergrund hervor. Doch bei weitem nicht alle am Freiheitskampf Beteiligten wurden so berühmt. "Wer war Max Werner?" fragt beispielsweise Manfred Grommelt und läßt uns direkt in das sprechende Antlitz eines jungen Mannes mit geöffnetem Hemdkragen blicken. Alle historischen Angaben finden sich in einem Kommentar, den Grommelt zu dieser Arbeit gestellt hat. Dagegen erinnert der in Wien lebende Oswald Oberhuber wieder an einen berühmten Märtyrer der Revolution. Robert Blum, Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, wurde nach dem gescheiterten Wiener Oktoberaufstand im Jahre 1848 unter Mißachtung seiner Immunität als Abgeordneter durch ein österreichisches Standgericht zum Tode verurteilt. Zahllose zeitgenössische Darstellungen schildern seine Hinrichtung in typischer Bilderbogenmanier als sentimentalkitschiges Rührstück. Oberhuber verzichtet auf anekdotische Zugaben, doch überhöht auch er das Geschehen, indem er das blutüberströmte Opfer in die Bildtradition christlicher Kreuzigungsszenen stellt. Zu den Märtyrern der Revolution zählt auch Ernst Elsenhans, Herausgeber des Rastatter Festungsboten. Elsenhans war einer der ersten der 19 Revolutionäre, die nach der Kapitulation der Festung Rastatt durch preußische Erschießungskommandos hingerichtet wurden. Drei kleine Spielzeuggewehre sind in der Box von Dietrich Fricker auf seinen Namen gerichtet. Der Titel "Die Nachricht ist die Revolution" verweist darüber hinaus auf die wichtige Rolle der demokratischen Presse in den Jahren 1848/49 und auf den engen Zusammenhang von Revolution und Agitation.
Simone Demandt "huldigt" dagegen dem preußischen Maler Adolph Menzel. Sie arbeitet mit zwei seiner berühmtesten, von ihrer Thematik jedoch völlig gegensätzlichen Gemälde. Sein bei ihr seitenverkehrt wiedergegebenes "Balkonzimmer" thematisiert den Einfall von Licht und Luft in ein menschenleeres, karg möbliertes Zimmer. Es bildet den nur durch eine Glasscheibe wahrnehmbaren Hintergrund vor dem sich einige aufgerollte Papierstreifen befinden. Unschwer erkennt man darauf Fragmente von Menzels berühmtem Gemälde "Die Aufbahrung der Märzgefallenen". Bis heute prägt Menzels Gemälde unsere Vorstellungen vom Ablauf dieses hochsymbolischen Aktes, mit dem die revolutionären Opfer der Berliner Barrikadenkämpfe am 22. März 1848 geehrt wurden. Menzel hat das Bild nie vollendet. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Doch erscheint Menzels Scheitern an diesem Bild rückblickend auch als Symbol für das Scheitern der Revolution.
Ursula Böhm, Esther Kaufmann und Svenja Ritter haben ihre Arbeiten historischen Randfiguren gewidmet, wie der nur aus Gerichts- und Polizeiakten bekannten "Beate C." Ihre Lebensgeschichte greift Ursula Böhm stellvertretend für viele Frauen aus dem Unterschichtsmilieu der Vormärzzeit heraus. Am Ende ihres Lebens steht sie vor einem Scherbenhaufen. Den hat die Künstlerin symbolisch in ihre Box gestellt. Obwohl der revolutionäre Aufbruch im März 1848 gerade auch Frauen aus allen Gesellschaftsschichten politisiert hatte, sprachen ihnen schließlich auch die von der Nationalversammlung am 27. Dezember 1848 verkündeten Grundrechte keine politischen Rechte zu. Von der aktiven Staatsbürgerschaft blieben Frauen weiterhin ausgeschlossen. Esther Kaufmann erinnert mit einer zusammen mit drei weiteren Frauen ausgeführten Arbeit an die solidarische Aktion von elf jungen Mädchen. Diese hatten das Verbot, die Grabstätte dreier im Jahre 1849 in Freiburg hingerichteten Revolutionäre mit Blumen zu schmücken, bewußt mißachtet. In "Zur letzten Ruhe betten - aber wie?" werden sie zum hoffnungspendenden Symbol weiblicher Zivilcourage. Svenja Ritter verarbeitet ein in ihrer Familie überliefertes dramatisches Geschehen aus den letzten Tagen der Badischen Revolution. Fast lebensgroß ist ihr Beitrag und erinnert in seiner Form beunruhigend an eine in einen fleischfarbenen Plastiksack gehüllte Leiche. Nur ein kleines Stück von der schwarzen Westermann-Box schaut aus der geheimnisvollen Hülle heraus. Ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist das Zusammenspiel von Text und Bild (siehe Statement der Künstlerin), das uns das Opfer eines unbekannten Freischärlers im Jahre 1849 noch einmal plastisch vor Augen führt.
Eine eigene Gruppe von Arbeiten thematisiert schließlich die Vorgänge in der revolutionären Festung Rastatt. Franziska Schemel visualisiert die verzweifelte Lage, in der sich die eingeschlossenen Revolutionäre befunden haben. Wahrnehmbar sind sie nur noch als verzweifelt umherrennende, blutrote Schatten. Die "Reaktion" schickt sich unaufhaltsam an, sie zu zermalmen. In Anlehnung an den "Goldenen Mann" auf dem Rastatter Schloß, Wahrzeichen absolutistischer Fürstenmacht, symbolisiert auch hier eine kleine goldene Figur die Gegenrevolution. Indem Franziska Schemel harte, spitze gegen weiche verletzliche Materialien stellt, versinnbildlicht sie den ungleichen Kampf auch auf formalstofflicher Ebene.
"Wenn Mauern sprechen könnten" - Gina Plunder bringt mit ihren Collagen aus Tuschezeichnungen und Plexiglas Rastatter Lokalkolorit in die Ausstellung. Prominente Stadtsymbole wie Rathaus, Schloß, Karlsruher Tor, der Festungsgrundriß oder Auszüge aus dem Festungsboten werden immer wieder als direkte Zitate herangezogen, ebenso die an den revolutionären Ereignissen beteiligten Hauptpersonen Gustav Struve, Lorenz Brentano, Armand Goegg und Carl Schurz. Bei ihr begegnen wir schließlich auch dem berühmten badischen Wiegenlied, das die traumatischen Erinnerungen an die blutige Niederschlagung der Revolution durch die Preußen bis heute im Bewußtsein der badischen Bevölkerung weitergetragen hat. Michael Wollensack schließlich zeigt den Grundriß der Rastatter Festung aufgespießt auf eine preußische Pickelhaube, die genau dem im Jahre 1848/49 verwendeten Modell entspricht. Der kurz zuvor in der preußischen Armee eingeführte Helmtyp wurde schon bald zu einem allgemeinverständlichen Symbol der Unterdrückung. Umgekehrt versinnbildlicht der in die Sammlung des Prinzen Wilhelm von Preußen einverleibte schwarz-rot-goldene Schmetterling den zerstörten Badischen Freiheitstraum nach der gewaltsamen Durchsetzung der preußischen Lösung.
"Die Rastatter Veranstaltung" nennt Karl Vollmer seinen Beitrag, der aus einer lapidaren Information besteht: 11. 5. - 23. 7. 1849 - Rastatt" - blaßgelbe Zeichen auf weißem Grund, eingerahmt von der schwarzen Westermann-Box, die hier zum Trauerrand gerät. Dieses Datum, es umfaßt das ganze letzte Drama der Badischen Revolution. Rastatt markiert darin Auftakt und Endpunkt zugleich. "11. 5. - 23. 7. 1849 - Rastatt" -. Damit ist eigentlich alles gesagt. Es bleibt an uns, sich die Ereignisse zu vergegenwärtigen.