Revolution in der Box


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Svenja Ritter

Waghäusel
*1972 in Karlsruhe

Gedenken an einen unbekannten Freischärler
Mischtechnik
139 x 43 x 23 cm

Gedenken an einen unbekannten Freischärler

GEDANKEN AN EINEN UNBEKANNTEN FREISCHÄRLER

21. Juni 1849
Preußische Truppen rückten in Wiesental ein.
Freischärler hatten sich in jener Ortschaft verschanzt.
Es kam zu Gefechten zwischen den Preußen und den Freischärlern.
Das Preußische Heer nahm keine Rücksicht auf die Dorfbevölkerung,
obwohl sich diese weitgehend aus dem Revolutionsgeschehen gehalten hatte:

Vom Hofe eines Fachwerkhauses,
in welchem meine Vorfahren lebten
fiel ein Schuß -
die Aufmerksamkeit preußischer Soldaten
auf das Geschehene gelenkt
diese sich in ihrem Vorgehen bestätigt gefühlt -
der gefallene Schuß,
der niemanden verletzt
die gespannte Stille durchbrochen
kein Zögern !
Sie stürmten das vor ihnen liegende Haus
die Alltagswelt der Bewohner durchbrechend
liebevoll zurechtgestellte Gefäße
deren Inhalt sich kläglich auf den sandigen Boden ergoß
den Hausherrn am Hemdkragen erfaßt
an beiden Armen ergriffen
auf die Straße gezerrt
wo ein Schuß fällt
mag der Schütze nicht weit sein
die Gewehre geladen - anzulegen bereit
mit dem nächsten Atemzug
den Tod zu atmen
das Sein in Unschuld verwirkt
mit dem nächsten Atemzug
dem Kind kein Vater mehr sein zu können
seine Frau
in ihrer Verzweiflung
herbeieilend
sich vor ihren ,dem Tode ins Auge blickenden, Mann werfend
angstvoll ausrufend
"wenn ihr meinen Mann erschießt,
so müßt ihr auch mich erschießen!"
Sekunden geladener Spannung
ein wages Gefühl
zwischen hoffen, bangen und - Todesangst
die Luft durchdrang
deren milde Juniwärme
in diesem Moment
in drücke Schwüle transformiert
die jeden Atemzug erschwerte
die Todesstille
donnernd von einem weiteren Schuß zerberstend
Ausgangspunkt dessen
ein nahe gelegener Holzstoß war
die Soldaten
ließen ab
ließen ab von den beiden gequälten Kreaturen
in Windeseile
den dahinter verborgenen Freischärler
ergreifend
ihn aus seinem unsicheren Versteck zerrend
ihn auf die Straße zerrend
ihre Gewehre angelegt
ihre Schüsse
ihn zielsicher erfaßt -
ihn nicht verfehlen konnten
die Kugeln
sein Fleisch durchbohrten
Blut an jeglichen Stellen austrat
sein Bewußtsein schwand
das weichende Leben
ihn in die Knie zwang
die letzten Sekunden seines Lebens verstrichen
sein Blut
den sandigen Straßenstaub durchdrang
Ich weiß nicht
ob sich die Augen des Todgeweihten
und jene
der Geretteten zuvor berührten
ich weiß nicht
ob diese Dankbarkeit empfanden
ich weiß nicht
ob diese Mitleid empfanden
für denjenigen
der sein Leben der Liebe zur Freiheit gewidmet
für denjenigen
der sein Leben selbstlos für sie hingab
er
der sein Leben eingesetzt
um Freiheit zu erlangen
Freiheit
die er nie besaß
und mit allem bezahlte
was er besaß -
seinem Leben.

Svenja Ritter