Revolution in der Box


Die Revolution von 1848/49 in der Sammlung Westermann
Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Fruchthalle Rastatt
vom 8. Mai bis 4. Juli 1999


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Revolution in der Box, Ingeborg Ströle

(Aus dem zur Ausstellung erschienenen Katalog)

Zeichnete sich Günter Westermanns Sammlung von Objektboxen bisher durch ihre bewußt offen gehaltene Vielfalt aus, deren alleiniger gemeinsamer Nenner die Box mit ihrem einheitlich vorgegebenen Format (13 x 17 x 2,5 cm) war, so sind die Arbeiten, die bei dieser Ausstellung gezeigt werden, thematisch gebunden und Ergebnis der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Badischen Revolution 1848/49. Wie bereits das Ausstellungsthema andeutet, liegt auch diesem Teil der Sammlung die Westermann'sche Box zugrunde, wobei der Sammler den Künstlerinnen und Künstlern nun auch mehrere Objektboxen zur Verfügung stellte.

Aus der Fülle künstlerischer Beiträge lassen sich einzelne thematische Gruppen und Aspekte herauskristallisieren. Zentral ist einerseits die Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen und Personen der Revolution (hier sei auf den Textbeitrag von Susanne Schmidt verwiesen), andererseits wird das revolutionäre Geschehen, Freiheitskampf und Niederlage symbolisch ausgedrückt, besonders mit Hilfe von Farb- und Materialmetaphern. Interessant ist hierbei die Rolle, die der Box als (einheitlich vorgegebenem) Ausgangspunkt zugewiesen wird. Sie kann sowohl für die alte Ordnung stehen, für Macht und einengende Gesetzgebung, als auch die Revolution selbst symbolisieren.
Bei einer größeren Anzahl von Objektboxen stehen die Nationalfarben im Zentrum der künstlerischen Arbeit. Die Farben stehen dabei für die nationale Einheit, im badischen Kontext besonders auch für den Kampf um Freiheit und Demokratie. Naheliegend sind hier auch Brückenschläge zur jüngsten deutschen Geschichte, wenn auch die Wiedervereinigung Deutschlands nicht eigentlich als Revolution zu bezeichnen ist.

Eine weitere, wenn auch kleine Gruppe von Arbeiten setzt sich ironisch-kritisch mit der Art und Weise auseinander, wie die Badische Revolution zu ihrem 150sten "Jubiläum" für Festivitäten und Veranstaltungen funktionalisiert wird, ohne daß eine über das Oberflächliche hinausgehende Auseinandersetzung mit den revolutionären Ereignissen und Zielsetzungen stattfindet.

Rotraud Hofmann zeigt die Box, nach vorn mit weißem, nach hinten mit schwarzem Stein gefüllt, aufrecht inmitten eines geborstenen rosafarbenen Steines. Der Stein steht dabei symbolisch für das Land, das trist und zerstört daliegt, während die Box, "rechtwinklig, klar, schwarz-weiß" die revolutionäre Idee symbolisiert, das Neue, das die alte Macht zerbricht: "die Box selber ist die Revolution" (vgl. das Statement der Künstlerin).
Auch bei Gebhard Lenz steht die Box für die Revolution, wobei er mit seiner "Feuer und Blut" betitelten Arbeit unmittelbar das Scheitern der Revolution thematisiert. Die Box ist verbrannt, auf den verkohlten Resten sind Spuren getrockneten Bluts zu erkennen. Rote Farbe suggeriert nach oben züngelnde Flammen.

Bei Gerlinde Beck wie Harald Holl steht die Box dagegen für den Rahmen des Gesetzes, der bestehenden Machtverhältnisse, der durch die Revolution gesprengt bzw. aufgebrochen wird. Holls suggestive Arbeit ermöglicht eine Fülle von Assoziationen. Unter einem am Boden liegenden Heckerhut mit Kokarde krabbelt eine dichte Menge von Käfern hervor, die nach oben drängen, um durch eine in den Rahmen genagte Lücke in die Freiheit zu fliegen - die Gedanken sind frei. Für Holl stehen die Insekten für das Fremde, Andersartige, das die alte Ordnung in Frage stellt. Die Käfer symbolisieren die unter dem Hut hervorquellenden, unkontrollierbar "wuselnden" revolutionären Gedanken, die über das Scheitern der Revolution hinaus die Grundlage unserer Demokratie bilden (vgl. das Statement Harald Holls).

Ausgehend von der Symbolik verschiedener Materialien visualisiert Norbert Nolte die Badische Revolution 1848/49. In der Box sind nebeneinander drei Reagenzgläser mit schwarzen, roten und gelben Farbpigmenten, drei Holzstöckchen sowie drei Eisenstäbe aufgereiht. Stehen die Farben für das Streben nach nationaler Einheit und persönlicher Freiheit so sind die Holzstäbe Symbol der Wanderschaft, Bewegung und Zusammenkunft. Die Eisenstäbe deuten die Niederschlagung des Freiheitskampfes an, sie stehen für Gefängnis und Gefangenschaft (vgl. das Statement des Künstlers).

Pflanzen-Symbole greifen Roger Aupperle und Angela M. Flaig auf. Aupperle verweist mit einer gepreßten Pusteblume auf die Ausstrahlung der damaligen revolutionären Gedanken bis in unsere Zeit. Flaig läßt mit Samenkeimlingen in der Box die "Saat der Revolution" aufgehen, auch hier der Verweis auf die Revolution 1848/49 als Grundlage unserer modernen Demokratie.

Kirsten Klöckner und Axel Philipp bringen die revolutionären Geschehnisse ins Bild der Massenbewegung, die den festen Rahmen der Box sprengt oder überflutet. Mit den verwendeten Alltagsmaterialien transferieren beide das Thema Revolution abstrahierend auf eine allgemeine Ebene, die allein mit formalen Mitteln die revolutionären Ereignisse vermittelt. Bei Kirsten Klöckner sind es getrocknete Erbsen (durch zwei Punkt-Augen und einen Strich-Mund als menschliche Köpfe gekennzeichnet), die in großer Fülle nach oben hin über die Box hinausquellen und damit den festgelegten, vorgegebenen Rahmen in den offenen, unbegrenzten Raum hinein überschreiten. Axel Philipp reduziert die Box auf den Holzrahmen, aus dem, wie aus einem engen Tor, eine rote Masse hervorquillt, die sich bei näherem Besehen als aus Streichhöl-zern zusammengeklebte, geschlossene Form herausstellt. Im Gegensatz zu Klöckners ungeordneter Erbsenmasse zeigen sich in der dichten, roten Phalanx Philipps Strukturen, die die Fläche gliedern und ineinander verflechten. Aus der Tiefe der aufrechtstehenden Box scheint sich die Streichholzmenge auf den Betrachter zuzubewegen.

Bei Ari Goldmann, Brigitte Nowatzke-Kraft, Barbara Uetrecht und Raymond Waydelich sind es Tiere, die als Metaphern Verwendung finden.

Ari Goldmann zeigt auf seiner Box einen Hirsch, in dessen Geweih sich der abgerissene Kopf eines Rivalen verhakt hat. Goldmann veranschaulicht damit, auf einen Zeitungsbericht anspielend (vgl. Statement des Künstlers S. 58), den Verlauf so mancher Revolution: Auch der siegreiche Hirsch endet als Jagdtrophäe an der Wand und ist damit letztlich ebenfalls unterlegen.
Ausgangspunkt von Brigitte Nowatzke-Krafts Arbeit mit dem Titel "Wir verlangen persönliche Freiheit" ist der Herdentrieb des Menschen. In der Box zeigt sie, dichtgedrängt nebeneinander stehend, eine Kuh-Herde, die sich geschlossen in eine Richtung zu bewegen scheint. Die gelben Spielzeugkühe tragen auf dem Rücken je drei schwarze Punkte, als Zeichen ihrer blinden Unterordnung unter Masse und Macht. Der Bewegungsrichtung dieser trägen und blinden Menge stellt sich nur eine Kuh entgegen, die - schwarz-rot-goldbemalt, ihre freiheitlich-revolutionäre Gesinnung sichtbar auf der Haut trägt. Ihr Streben nach persönlicher Freiheit kommt aber vor allem darin zum Ausdruck, daß sie versucht, sich in die Gegenrichtung des Stroms zu bewegen.
Bei Barbara Uetrecht findet die "Revolution auf der Box" statt: Sie zeigt eine Herde von Schafen, die unbedarft auf der schwarz-rot-golden bemalten Box weiden. Die Schafe werden so zum Abbild der heutigen Gesellschaft und ihres unreflektierten Umgangs mit den auf die Revolution 1848/49 zurückgehenden Errungenschaften.
Raymond Waydelich symbolisiert mit einem Kanarienvogel, der beim Versuch aufzufliegen in eine Mausefalle geriet, den gescheiterten Freiheitskampf der Revolution.

Das Spektrum der für Freiheitskampf und Niederlage gewählten Symbole ist weit und kann hier nur mit wenigen Beispielen angedeutet werden: Wil Cassel zeigt als Metapher der Freiheit einen zerbrochenen Gartenzwerg, der, von einem Spielzeugritter niedergestochen, zwei Schlümpfe unter sich begrabend im eigenen Blut liegt; Titel der Arbeit: "Immer muß die Freiheit im Blut baden".

Bei Wolfgang Ehehalt ist die nach der schwarz-rot-goldbemalten Box greifende Hand der Freiheit in Ketten gelegt.
In zarter Gouache gibt Dietrich Schuchard als Zeichen des Vorfrühlings einen Schneeglöckchenstrauß wieder. Vor dieses in altmeisterlicher Weise gemalte Stilleben montiert Schuchardt zwei Fundobjekte: Links in der Mitte einen sauber polierten, intakten Gewehrhahn, in der unteren Ecke rechts einen alten, zerbrochenen Pistolenhahn. Diese Hähne stehen für die in der Revolution ausbrechende Gewalt - auf beiden Seiten. Der intakte Gewehrhahn ist dabei Abbild der starken, gut organisierten Obrigkeit, der abgebrochene Pistolenhahn steht für die unterlegenen Freiheitskämpfer und ihre schlechte Ausrüstung.
Günter Wagner spannt die in eine schwarz-rot-goldene Fahne gewickelte Box in eine Schraubzwinge, die durch den Adler auf dem Griff unschwer als Zwingmacht Preußen zu deuten ist.

Andere Arbeiten wählen die Farben Schwarz-Rot-Gold als Ausgangspunkt: So Jürgen Brodwolf, dessen Tubenfigur wie auf einer zusammengeknautschten Fahne aufgebahrt wirkt, oder Barbara Geiler, deren Box allein mit Farbe, Fläche und Material die Revolution "nacherzählt". In der (quadratischen) schwarzen Holzbox liegt über leuchtend rotem Stoff eine leicht gewölbte, goldschimmernde Messingplatte. Im schwarzen Rahmen der reglementierenden Obrigkeit leuchtet die Glut revolutionären Feuers, das - fast - überdeckt wird vom glänzenden Stahl militärischer Übermacht.
Auch Susanne Egles Arbeit spielt mit den Farben Schwarz-Rot-Gold. In inhaltlicher Umkehrung zitiert sie einen Feuermelde-Kasten: Edel präsentiert und hinter Glas gesichert sieht man als "Utensilien zum Feuerlegen" auf purpurfarbenem Samt ein goldenes Streichholz und eine Streichholz-Reibefläche. Auf einem Messingschildchen auf dem unteren Rand der Box steht in geschwungenen Lettern der Titel der Arbeit: "Bei Revolution Scheibe einschlagen".
Die Farben Schwarz-Rot-Gold bilden auch die Grundlage der Arbeiten von Gerd Lind, Anna Tretter und Michael Urtz.

Daß die Jubiläumsveranstaltungen zum Gedenken an die Revolution durchaus auch kritisch zu betrachten sind, geht nicht nur aus Wolf Pehlkes Text hervor. Kritisch-Ironisch gehen auch Gesine Peterson, Lothar Rumold und Gerhard Knodel mit dem Thema um.
Peterson zeigt eine grellrosa Torte, die mit gefärbten Zuckergußrosetten, buntfarbigen Liebesperlen und (leicht geschmolzenen) Hecker-Marzipantalern verziert ist. Die Jahreszahlen 1848 und 1998 weisen auf das Gedenkjahr hin, wobei sich die Auseinandersetzung mit der Revolution ironisch auf das "Zitat" der Kultfigur Hecker im künstlich- kitschigen Rahmen der Tortenverzierung beschränkt. Die Reduktion des Revolutionshelden zur Zuckergußfigur fand allerdings auch bereits vor 150 Jahren statt. "Sein Porträt zierte Alltagsgegenstände wie Tabakdosen oder Pfeifen. Beliebt waren auch kleine Hecker-Figuren", wie die Annonce eines Konditors im Pfälzer Volksblatt 1848 zeigt (vgl. hierzu den Katalog Frankfurt 1998 "1848 - Aufbruch zur Freiheit", S. 119).
Lothar Rumold zeigt die Box als goldgerahmte Schiefertafel mit einer Strichliste von 150 Kreidestrichen, wobei der vergoldete Rahmen in offensichtlichem Kontrast zur Banalität des Umrahmten, der Schiefertafel mit den Kreidestrichen, steht. Rumold bringt damit seine grundsätzliche Kritik an historischen Jubiläen zum Ausdruck: "Das Schaffen von Pseudo-Ereignissen hat Konjunktur - wo nichts passiert, muß was passieren, denn wo nichts los ist, läßt sich z. B. nichts verdienen" (vgl. das Statement des Künstlers).
Bei Gerhard Knodel steht die Box wiederum für die Revolution 1848/49: Links oben hängt ein Heckerhut, rechts sind die badischen Farben (Gelb-Rot) angebracht und am unteren Rand ist die Jahreszahl 1848/49 zu lesen. Diese "Revolutions-Box" hängt Knodel zentral vor eine größere Collage, die eine dichte Menschenmenge unser Zeit zeigt, gerahmt von einem vielfarbigen Rahmen, auf dessen unterem Rand 1998/99 steht. Daß Knodel hier aber nicht die jubiläumsbedingte intensive Beschäftigung vieler Menschen mit den Geschehnissen 1848/49 illustrieren will, geht aus dem abschätzig klingenden Titel hervor: "Mit Revolution haben wir nichts am Hut". Ob sich der Künstler persönlich dieser historisch wie politisch desinteressierten Haltung der heutigen Gesellschaft anschließt oder diese vielmehr mit seiner Arbeit kritisieren will, bleibt offen. Vergangenheit und Gegenwart verbindende Funktion kommt dem Stichwort "Hut" zu, das der Heckerhut als zentrales Symbol der 1848er-Revolution liefert, und das Knodel als Brücke zur lockeren Redensart unserer Zeit aufgreift.

Wenn hier auch nur auf einen Teil der 145 künstlerischen Arbeiten zum Thema "Revolution in der Box" eingegangen werden konnte, wird doch die große Vielfalt in inhaltlicher wie künstlerischer Hinsicht deutlich. Daß über 140 Künstlerinnen und Künstler bereit waren, sich intensiv mit den Geschehnissen 1848/49 und ihren Folgen bis heute bildkünstlerisch auseinanderzusetzen und für die Sammlung Westermann Objektboxen zum Thema "Badische Revolution 1848/49" zu gestalten, zeigt überdies, daß das Thema für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler (wie hoffentlich auch für das Ausstellungspublikum) durchaus von Interesse ist. Haben wir mit Revolution noch etwas am Hut?