Revolution in der Box


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Lothar Rumold

Karlsruhe
*1955 in Karlsruhe

Der Grund zum feiern, oder:
Ihre Kinder fressen die Revolution 98

Blattgold, Schiefertafel, Kreide, Schwamm
13 x 17 x 4 cm

Der Grund zum feiern, oder: Ihre Kinder fressen die Revolution  98

DER GRUND ZUM FEIERN, ODER:
IHRE KINDER FRESSEN DIE REVOLUTION

Der vergoldete Rahmen kontrastiert auffallend mit dem Umrahmten, also mit der Strichliste auf profaner Schiefertafel. In der Nicht-Kunst-Realität entspricht dem der Gegensatz zwischen Jubiläumsjubel, -trubel, seltener auch -heiterkeit und dem banalen Grund dafür: ein historisches Ereignis - also das, was man dafür hält - jährt sich zum einhundertfünfzigsten Mal. Indem wir schulmeisterlich penibel Strichlisten führen, benutzen wir vergangene Geschehnisse, um gegenwärtige zu inszenieren und uns selber in Szene zu setzen, wogegen im Prinzip ja nichts zu sagen ist. Davon lebt der Mensch, also auch der Künstler und sogar die Künstlerin: dass er / sie sich " Fremdes " einverleibt, um " Eigenes " hervorzubringen, also auch hier ein allgemeines Fressen und Gefressenwerden.

Aber:
Das Schaffen von Pseudo-Ereignissen hat Konjunktur - wo nichts passiert, muß was passieren, denn wo nichts los ist, läßt sich z. B. nichts verdienen. Wenn etwas 10, 15, 20, 25, 30, 50..... 125, 150 Jahre her ist, macht man aus seinem Rechenzwang eine Tugend und erklärt, daß das ein Ereignis und damit ein Grund zum Feiern, Reden halten und Ausstellungen machen sei. Kein Mensch hätte bemerkt, daß die Badische Revolution sich "heuer" jährt, gäbe es nicht das Einmaleins und Menschen, die in der Lage und Willens sind, es auf Vergangenes anzuwenden. Man merkt: hier spricht kein Freund von Geburtstagsfeiern. Vor lauter "Ereignissen" ereignet sich nichts mehr. Alles was sich als "event" ausweisen kann, wird auch nicht als Ereignis wahrgenommen. Kein Jahr, bald kein Monat vergeht, in dem nicht auf irgendetwas angeblich Wichtiges reagiert werden darf, kann, soll oder muß - man wähle ein passendes Modalverb je nach persönlichem Geschmack und momentaner Verfassung. Und als Künstler, der auf sich hält, meint man ja oft, man "müsse" - zu allem seinen Senf dazugeben. Was dabei in Gefahr gerät, aus der Erlebenswirklichkeit hinausgedrängt bzw. gar nicht erst in sie hereingelassen zu werden, ist das Nicht-Inszenierte, das spontan sich Ereignende, auch die Möglichkeit der Wahrnehmung von ereignislosen Momenten oder gar Phasen.

So viel oder so wenig zur Bewußtseinslage, aus der heraus meine Westermann-Box zum Thema "150 Jahre Badische Revolution" entstanden ist. Es handelt sich also nicht um eine Arbeit, welche direkt Bezug nimmt auf das historische Ereignis der Badischen Revolution. Auch geht es nicht um die Feststellung oder Behauptung irgendwelcher Beziehungen zwischen heutigen und damaligen Geschehnissen oder Zuständen. Sehr fern lag es mir auch, Antwort zu geben auf Fragen wie: Was können wir aus dieser Geschichte lernen und warum lernen wir es nicht. Was mit der Arbeit vielmehr thematisiert werden soll und wogegen sich ihre polemische Attacke richtet, ist die Gepflogenheit des Jubiläumfeierns u.a. auch mit den Mitteln und unter Mitwirkung der Kunst in unserer erlebbaren Gegenwart am Beispiel "150 Jahre Badische Revolution". Ein solcher Beitrag hat in einer Ausstellung zur Badischen Revolution dann etwas verloren, wenn man davon ausgeht, daß die Reflexion auf das künstlerische Tun und Lassen (mit künstlerischen Mitteln) zu den Aufgaben der Kunst selbst gehört und nicht allein kunstextern zu betreiben ist.

Lothar Rumold